Es war einmal …..
Ich bin seit meiner Kindheit ein begeisterter Leser und Sammler von DDR-Kinderbüchern.
Diese Schätze der Kinderbuchliteratur und Illustrationen haben mich vom kleinen Kindesalter bis heute begleitet. Durch den Kontakt mit den vielen Kinderbüchern und Illustrationen und dem humorvollen Umgang des Geschichtenerzählens hat sich meine Welt als Kind schon früh eröffnet. Ich glaube, dass es für die Entwicklung eines jungen Kindes ganz wichtig ist, in den ersten Lebensjahren mit Märchen und Phantasiewelten in Berührung zu kommen.
Ich habe mich für dieses spezielle Thema der DDR-Kinderliteratur aus der ehemaligen Sowjetuntion spontan entschieden, da in den öffentlichen Medien das gesamte russische Volk als kriegsführend dargestellt wird. Ich möchte mit meinem Gedankengang dem entgegensetzen, dass die Menschen in Russland und Ukraine eigentlich ein gemeinsames Volk sind mit einer kulturhistorischen Einheit und gemeinsamen Wurzeln sind.
Ukrainische und russische Menschen, und ganz besonders die Kinder, sind Geschwister und können für den momentanen Angriffskrieg der Russen gar nichts – sie begreifen ihn nicht, genauso wenig, wie wir Erwachsenen.
Junge Familien wurden ihrer Heimat und ihren kulturhistorischen Wurzeln beraubt.
Die Kinder mit ihren Müttern müssen flüchten, ihre Väter müssen in den Krieg ziehen gegen ihre eigentlichen Brüder. In diesem Geschriebenen gerade möchte ich einfach einen humanistischen Beitrag leisten, dass alle Kinder der Welt für Kriege und diktatorische Machthaber überhaupt nichts können.
Die Ukraine mit der Hauptstadt Kiew ist ja eigentlich der Ursprung des gesamten Russlands. Die Wurzeln von Russland sind im Jahr 862 n.Chr. das erste Mal erwähnt. Daraus entstand die Kiewer Rus (heute Kiew) und Rus-Land – das heutige Russland und die Ukraine.
Meine Idee ist es, ukrainische und russische Kinderbücher aus der DDR-Zeit einmal zu präsentieren. Die ukrainischen Märchen sind der Ursprung aller Kinder- und Jugendbücher Russlands. Ich besitze eine umfangreiche private Sammlung von den Jahrgängen 1949 bis 1989 mit etwa 1.500 originalen DDR-Kinderbüchern.
Ich werde Ihnen kurz den Ursprung der ukrainischen Märchen aufzeigen, denn die uralten ukrainischen Erzählungen und Märchen dienten anderen Zwecken als die Märchen in der heutigen Zeit und im gesamten Europa. Das älteste Genre der ukrainischen Erzählungen ist das Heldenepos des ukrainischen Volkes in Sagenform. Diese Volkskunst wurde nicht in klassischen Texten niedergeschrieben wie im Märchen. Die Geschichten wurden von Mund zu Mund weitergegeben. Auf diese Weise überdauerten sie Jahrhunderte, bis sie irgenwann aufgeschrieben wurden.
Sie sind etwas ganz Besonderes, da in den Märchen die klassischen Kategorien Gut oder Böse nicht vorkommen. Die überlieferten Erzählungen verschrecken nicht, noch sind sie absolut gruselig. Die Forscher erklären diese Tatsache mit dem archaischen Ursprung der Mehrzahl der Märchenthemen, die noch lange vor dem Aufkommen des Christentums entstanden sind.
In diesem Gedankengang würde ich Ihnen gerne die Märchen-Welt einer anderen Zeit vorstellen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich kurz Zeit nehmen, sich in die Phantasie- und Gedankenwelt der ukrainischen und russischen Erzählweise hineinzuversetzen.
Diese Erzählungen aus der Ukraine sind voller natürlicher Phänomene mit einer versteckten Symbolsprache, die mit der Natur sprechen und wahrscheinlich Überlieferungen der Kulturen des Heidentums sind.
„Sieben Helden“, die es nur in ukrainischen Märchen gibt
Die Märchenthemen auf der gesamten Welt haben oft gemeinsame Motive und ähnliche Helden. Gleichwohl gibt es Charaktere, die man nur in den ukrainischen Märchen antrifft.
So das siebenjährige Mädchen, ein Kind, das immer nur sieben Jahre alt ist, das den Vater vor dem Ruin bewahrt, indem es ein ums andere Mal für ihn extrem schwere Rätsel des Herrn löst.
Herr Kozkyj ist ein alter Kater, den sein Eigentümer in den Wald gebracht hat, um ihn sterben zu lassen, dabei verhielt sich die listige Katze nicht schlecht, brachte alle Waldtiere um den Verstand und nahm sich einen Pfifferling zur Frau….usw.
Ein Beispiel dafür sind auch die Sagen der Mystik des Waldes. In diesem Wald, wie oben kurz erwähnt, entstehen viele Heldenfiguren aus unterschiedlichen Welten. So wird mit dem Wald oft die Unterwelt dargestellt, wo mythische Helden viele Prüfungen bestehen müssen. Diese Prüfungen sind in der Symbolsprache gleichzusetzen mit dem Weg des gesamten Seins des Lebens bis hin zum Tode.
In diesen Überlieferungen gibt es keine ganz abgründigen negativen Darstellungen. Die absoluten Bösewichte mit Teufelscharakter entwickelten sich erst mit der Zeit, als das Christentum aufkam.
Beispielsweise war bei den ganz alten ukrainischen Erzählungen der Wolfskult ganz stark verbreitet. Seit archaischen Zeiten verehrten die Menschen ihn als Totemgottheit. Ihm zu Ehren zogen die Männer des Stammes Häute und Felle von Wölfen über und versuchten sie nachzuahmen und heulten den Mond an.
Mit dem Aufkommen des Christentums wurde der Wolf immer agressiver und ein Unheilsbringer des Bösen. Dazu taucht in vielen Überlieferungen immer öfter die listige Schlange auf. Die Schlange ist der Übeltäter allen Ursprungs des Bösen. Ihr Sinnbild spiegelt sich im Christentum auch durch den Teufel wider.
Das magische Denken im Ursprung der ukrainischen Sagen musste in den nachfolgenden Jahrhunderten immer mehr dem Rationalen weichen. Die mystischen wunderhaften Märchen wurden weniger populär. Die aufgeschriebenen Erzählungen der Gebrüder Grimm kamen in Mode.
Besonders deutlich wird dies in den ukrainischen Märchen am Beispiel der Transformationen des zentralen Übeltäters, der Schlange. In ihrer anachronistischten Erscheinungsform übernahm sie antropomorphe Züge. Die Schlange erschien allmählich als Mensch. Das spiegelt den Prozess des Rückzuges des Magischen in die realistische Welt wider.
So erscheint beispielsweise in den Märchen die sehr beliebte goldschaffende Schlange als eine ritterliche Adlige: Sie gewährt dem Helden, der gekommen ist, mit ihr zu kämpfen, einen Aufschub und stellt immer die Frage: „Werden wir kämpfen oder Frieden schließen?“, sie gibt ihm das Vorrecht auf den ersten Schlag und so weiter….
Die Welt der Märchen ist eine Welt endloser Veränderungen und Transformationen, die die Veränderungen in der Gesellschaft und das menschliche Denken widerspiegeln.
Ich habe einen kurzen Einblick in den Ursprung des ukrainischen Märchen dargelegt und möchte ich Ihnen jetzt im Anschluss eine kleine Abfolge des russischen Märchens darlegen.
Zur Einstimmung möchte ich ein Gedicht des Schriftstellers Aleksandr Puškin zeigen:
Am Meeresstrand an stiller Stätte
Steht eine Eiche knorrig, krumm;
Ein Kater streicht an goldner Kette
Beständig um den Baum herum.
Er geht nach rechts – erzählt ein Märchen,
Nach links – und singt ein altes Lied.
Dort haust der Schrat, ein Elfenpärchen
Auf einem Halm im nahen Ried.
Noch nie betretne Wege führen
In ein noch unbekanntes Land;
Ein Häuschen steht mit offnen Türen
Auf Hühnerfüßen dort im Sand.
Das Meer, der Wald, die Fluren stecken
Voll Wunderdinge. Reihenweis
Betreten dreißig stolze Recken
Zusammen mit Neptun, dem Greis,
Den Strand beim Strahl der Morgensonne.
Ein Königssohn – des Vaters Wonne –
Erfreut durch Anmut und Verstand.
Ein Zauberer in einer Wolke
Trägt einen Ritter über Land
Und Meere dort vor allem Volke.
Im Kerker weint ein Kaiserkind,
Ein brauner Wolf bewacht die Holde;
Koschtschej sitzt dort auf seinem Golde.
Und Russlands Seele weht im Wind.
In jenem sagenhaften Reiche
Genoss ich einmal Met und Bier;
Der Kater auf der grünen Eiche
Erzählte seine Märchen mir… A. Puškin







